Freitag, 15. März 2013

Weißt du...das hier ist alles andere als ein Märchen


Ein gewisser 5 Jahre alter Junge, dem das ecuadorianische Los schwarze Loken und genauso dunkle und große Augen zugesprochen hat; ein Kraftmensch, der seine Stärke vor allem darin zeigt, dass er mir nie erlaubt ihm beim Mittagessen zu helfen. Er bevorzugt es alleine zu tun – wenn auch sehr viel Zeit und sehr viel Reis auf seine Kleidung drauf geht. Doch er tut es, wie es sich für einen richtigen Mann gehört – alleine, ohne fremde Hilfe. Doch wie jeder andere hat auch dieser Jüngling eine Schwäche. Er ist ohne jegliche Konventionen oder Vorurteile. Doch immer wieder streckt er seine Arme in meine Richtung aus und bittet mich darum ein paar Runden um die Tische zu drehen oder einfach nur für einen Augenblick seine kleine Hand zu halten. Natürlich sage ich nicht nein – ich wurde zu einem braven und hilfsbereiten Mann großgezogen, was natürlich meiner Mutter zu verdanken ist.

Pedrito ist der zukünftige Star des Fernsehbildschirms. Den Fotoapparat rauszuholen und ein gewöhnliches Foto von ihm zu schießen, ist fast unmöglich. Immer wieder fängt er an zu posen – von Wut über Langeweile bis hin zu vollkommener Zufriedenheit oder Angst reicht sein Repertoire  Ein breit gefächertes Angebot hat er zu bieten und jedes Mal überrascht er uns mit seinem Potenzial, ich sage es euch!





Vermutlich würde ich ihn genau so für lange Zeit in Erinnerung behalten, zufrieden damit, dass ich die Möglichkeit hatte einen aufgehenden Stern am TV-himmel lange vor seiner Zeit kennen zu lernen, bevor er in ecuadorianischen Filmen mitgespielt hat. Ich würde...wäre da nicht der Besuch bei ihm zu Hause gewesen.

Wir trafen auf ihn direkt vor seinem Haus, wo er barfuß auf dem Boden neben einem riesigen Stapel leerer Plastikflaschen saß, die er mit seinen kleinen Füßchen platt machte und dann in eine Schüssel warf, wo sich bereits Unmengen an anderen Flaschen befanden. Der Effekt seiner Arbeit. Mit gelassenem Gesichtsausdruck, ohne Anflug von Emotionen oder erkennbare tiefere Gedankengänge über das, was er da tat. Mechanisch. Gemeinsam mit den anderen Familienmitgliedern. Das tut er übrigens regelmäßig vermutlich seitdem er laufen kann. Noch ist das die einzige Möglichkeit, wie er der Familie helfen kann ein wenig Geld in die Kasse der Familie zu treiben. Nicht nur für ihn, sondern auch für seine zahlreichen Geschwister. Wieso wundert es also nicht, dass danach beim Erneuern der Daten der Kinder die Eltern auf die Frage nach der Lieblingsbeschäftigung der Kinder mit „Recycling” antworten?!

Eine Stunde später sitzt er beim Mittagessen und isst seine Suppe und den Reis. Er ist immer noch schmutzig, doch entschieden sauberer als er es bei unserem Aufeinandertreffen zuvor war. Er hat sich auch umgezogen. Das bedeutet also, dass irgendjemand vor seinem Aufbruch zum Essen ihn hingewiesen hat darauf, dass er sich um sich zu kümmern hat. Oder vielleicht war es auch seine Reife, die so anders ist als die von europäischen fünfjährigen Kindern, die es ihm gesagt hat?

Das war so ein Moment, in dem selbst die Stärksten das Recht hätten für einen kurzen Augenblick zusammenzubrechen. Mir selbst hat es ebenfalls die Sprache verschlagen. Ich wusste, dass man es mir nicht anmerken durfte, weil alle diese Kinder ein breites Lächeln meinerseits brauchen und jemanden, der fröhlich mit ihnen spielt, unterstützt von einfallsreicher Erziehung und kein Mitleids-empfinden gegenüber seiner Situation.



Ich erinnere mich auch an einen anderen Moment, der mit den Atem verschlug: Ich bat den kleinen Edrien darum mir einen Laden zu malen. Er nahm mit seiner so zerbrechlichen Hand vorsichtig den Stift, umklammerte ihn fest und fertigte ein kleines Gemälde an, das aus einem Gitternetz bestand. Hier sehen viele Läden in den armen Vierteln genau so aus: Mit Gittern vor dem eigentlichen Laden, durch die die Ware gegen das Geld ausgetauscht wurden. So schützt man sich vor Räubern, vertraut wird niemandem. Nicht mal seinen eigenen Nachbarn. Der Kleine sah mir in die Augen und lächelte auf eine natürliche kindliche ehrliche Art und Weise, glücklich über sein Kunstwerk - und ich fühlte wie ich dahin geschmolzen bin und Angst hatte Eins zu werden mit dem Boden.

Drei schnelle Atemstöße haben mich aus meiner Situation gerettet, doch dieser Moment wird mir auf Ewig in Erinnerung bleiben.

Denn weißt du...das hier ist alles andere als ein Märchen.

Pablo

Samstag, 23. Februar 2013

Die haben doch viel Geld. Warum kaufen die Nichts?


Ich vermute, dass jeder, der schon einmal in einem Land in Südamerika gewesen ist oder sich auch nur ein bisschen mit so einem beschäftigt hat, in der Lage ist die Philosophie zu verstehen und ein bisschen was dazu zu sagen, die ich als mañana bezeichne. Kurz gesagt, oder eher geschrieben, wenn wir mañana sagen, meinen wir, dass es keinen Grund zur Eile gibt, die Welt wird auch morgen noch existieren und alles weitere kann man auch mañana noch erledigen, also morgen, übermorgen oder auch über übermorgen;) Das Haus steht kurz vor dem Zusammenbruch, weil es stark nach hinten geneigt ist? Naja, noch ist nichts passiert. Eine Tragödie ist nicht in Sicht. Kein Grund zur Aufregung. Doch wenn die Situation als ausreichend gefährlich eingestuft wird, bewegt man sich endlich hoch von der Hängematte und fängt an zu denken. Der erste geniale Einfall ist hier für gewöhnlich das Gegenlehnen von Bambusstöcken. Auf diese Art und Weise kann man dann gemütlich und problemlos weitere Zeit in der Hängematte verbringen. Bis mañana. Heute ist es ok. Und das machen wir uns nicht kaputt.
Diese Philosophie kann man auch als „Lebe den Moment“ bezeichnen, ohne Zukunftspanung. Carpe Diem. YOLO. Wir haben Geld, also geben wir es jetzt aus. Sparen für die Zukunft? Sparen für mañana? Nein, das scheint mir lächerlich.

                                                 


Zusammen mit den großen Kindern der Stiftung aus den armen Famailien begeben wir uns an den Strand. Kurze Pause. Ein einziger großer Haufen rennt in den nächsten Laden und kauft Chips und/oder Eis. Das verstehe ich. Manchmal darf man sich was gönnen, vor allem an einem so besonderen Tag wie diesem. Wir kommen am Ozean an, bekommen alle ein Frühstück gestellt und gehen an den Strand. Bis zum Mittagessen amüsieren wir uns miteinander und nutzen die Wellen aus (BTW: Wieso schwimmen hier alle in Shorts und T-Shirt?). Der Nächte Punkt auf der Tagesordnung sind dann die von den Kindern angelaufenen Stände mit Krimskrams. Halsketten, Schatullen, Hüte, Schlas uvm. Wir, die drei Gringos, stehen daneben, begutachten die Ware und wollen bereits wieder umdrehen und zurück an den Strand gehen. Keiner von uns zeigt auch nur ein bisschen Interesse an diesen überteuerten Andenken. Aber wir warten – unsere Schützlinge machen den Einkauf ihres Lebens! Und wir stehen daneben und sehen zu. Als dann alle dafür Gesorgt haben, dass diese Betrüger vom Strand ein wenig was verdient haben, zeigt der eine in unsere Richtung und fragt, wieso wir denn nichts kaufen würden. Wir wären doch weiß und hätten viel Geld!
Geld haben wir nie viel. Wir sind nicht reich. Das einzige, von dem viel da ist, ist evtl. unser Erspartes. Das macht für die jedoch keinen großen Unterschied. Geld ist Geld und wurde gemacht um es auszugeben und sich zu amüsieren. Das, woraus unser „großer Geldhaufen“ besteht, ist lange gespartes und hart verdientes Geld, das wir in einer Socke aufbewart haben, um davon eine größere Exkursion, einen praktischen Einkauf, die schwarze Stunde zu finanzieren oder bei uns in Europa eine neue Waschmaschine, Renovierung, Winterschuhe, etc.
Aber das alles ist doch mañana. Wir haben Heute Geld und es kann gut sein, dass es Morgen nicht mehr da ist. D.h. ich gebe es jetzt aus und habe Spaß damit, solange ich es genießen kann. Zufrieden und ohne Angst vor einem gut geschützen Ort für mein Geld kann ich mich dann zu Bett begeben. Schon Lennon hat gesagt, dass wir den Momen verlieren, wenn wir ständig an die Zukunft denken.
Also carpe diem! Ich glaube nicht, dass das die perfekte Art und Weise ist das Leben anzugehen. Wenn wir planen, können wir Schritte nach vorne machen, unser Sein verbessern, um ein besseres Morgen kämpfen. Wenn nicht für uns, dann wenigstens für unsere Kinder. mañana ist genau so wichtig wie das Hier und Jetzt. Es gilt nicht die Philosophie mañana ständig schlecht zu machen oder sie schön zu reden. Wir sind alle Opfer eines unglaublich ausgeprägten Radikalismus. Sowohl in Europa als auch hier in Ecuador, und ich denke die goldene Mitte wäre die beste Lösung.

                                                                                         Magdalena chiquita

Donnerstag, 21. Februar 2013

Ecuador liebt das Leben - „eine Wilkommensreflexion“;)



Vor sich hin lebt der Mensch in seiner Welt voller Pflichten, Wettläufen und Terminen. Manchmal macht er eine Pause fürs Mittagessen oder eine andere Mahlzeit. Danach rennen wir weiter, immer schneller, obwohl wir schon lange keine Kraft mehr haben, es fehlt am Glauben, an der Motivation. Unterwegs verlieren wir ETWAS, doch noch wissen wir nicht genau, was das ist.
Wir fühlen es, aber wir verstehen es nicht.


                                              


Einst warf ein gutmütiger Mann all das hin und begab sich auf seinen Weg nach Ecuador. Dort traf er nach Ventanas – einem heißen, sonnigen und vor Leben triefenden Ort. Wie hat er sich dort gefühlt? Merkwürdig. Wie eine kleine Maus in dieser großen belebten Welt. Hier laute Musik, dort ertönt permanent der Lärm von Autohupen, anderen Fahrzeugen, irgendwo wird ständig gepfiffen, auf der linken Seite spielt man Fußball, auf der rechten Seite wird gelacht, gelaufen, geschrieben. Eine kleine Maus mitten im Auge des Tornados.
Was soll ich machen? Dachte sich gerade dieser Mann. Der Kalender leer. Unbeschrieben. Kein einziger Termin. Es gibt nichts, an dem man sich festhalten könnte, womit man sich verdecken könnte. Man muss raus gehen zu den Leuten, zu dieser Welt. Warum schreien die so? Sein Kopf schmerzt.
Wieso lachen sie ständig? Wieso sind die Kinder voller Energie? Wieso denken sie, dass der Mensch krank ist, nur weil er nachdenklich und mit ernstem Gesichtsausdruck herumläuft? Wieso können sie sich so hervorragend an Karneval amüsieren? Wieso können sie sich selbst an kleinen Dingen freuen? Wieso sind sie so spontan?
Nach den ersten aufgetretenen Problemen, der Angst vor der neuen Welt und der Irritation kommt das Verständnis.
Nach dem Verständnis kommt die Zeit für die Reflexion und fürs Lernen. Und der Mann lernt, er weiß mittlerweile, was er beim Hetzen verloren hat. Er versteht, wieso Gott ihm die Möglichkeit gegeben hat in dieses ungewöhnliche Land zu kommen. Nicht nur um den kleinen Ecuadorianern zu helfen, auch damit Ecuador dem Mann ein bisschen was vom Leben zeigt.


                                                                                           Magdalena chiquita

Montag, 18. Februar 2013

Yo hablo español


So schreite ich nun vor mich hin. Durch die Stiftung. Und ich spreche die Kinder an. Immerhin habe ich in letzter Zeit einige Ausdrücke auf Spanisch gelernt und glücklich darüber nutze ich meine neu angeworbenen Fähigkeiten.

Um mit den Kindern zu reden, knie ich mich hin. Klar. Alles andere wäre den Kindern unhöflich gegenüber und ich sage mit großer Genugtuung:

- Yo soy valiente y guapo hombre. Si? ( Ich bin ein mutiger und schöner Mann. Ja?)

Das Mädchen lächelt mich schüchtern an und vermutlich denkt es bei sich, was dieser Gringo von ihr will, aber sie antwortet brav:

- Sí.

                                               



Zufrieden mit meiner Leistung schreite ich weiter durch den Raum und versuche mich an einem neuen mir bekannten Ausdruck. Nicht etwa, weil ich die Bestätigung der Kinder brauche...doch was kann ich denn dafür, dass mir gerade dieser Satz im Kopf hängen geblieben ist?
Ich laufe an sra. Herrera vorbei und sage:

- Mucho calor! (Es ist sehr warm!)

Ich entferne mich langsam von ihr, beglückt von meiner Tat. Auch wenn ich nichts Weltbewegendes gesagt habe, da es hier immer heiß ist und ich mich langsam daran gewöhnt habe. Doch die besorgte besagte Señora läuft zum nächsten Ventilator um ihn für mich einzuschalten. Wow, meine spanischen wenn auch wenigen Worte, scheinen einen riesigen Eindruck auf den Leuten zu hinterlassen.
Ich bewege mich weiter im Rhythmus des Liedes, das mir energisch durch den Kopf geht. Unterwegs greife ich nach Liseth und fange an mit ihr durch den Saal zu tanzen, wobei ich die Melodie des Liedes summe, das ich mir soeben ausgedacht habe. Die anderen Kinder haben viel Spaß daran und die etwas mutigeren machen auf sich aufmerksam – sie wollen auch mit mir tanzen.

Kein Problem, ihr alle wisst, dass Pablo gerne herumalbert!

- Yo soy feliz! ( Ich bin glücklich!) - versuche ich meine Partnerin zu überzeugen, denn was anderes fällt mir in dem Moment nicht ein. Es ist übrigens auch dieser Satz, den ich in jeder mir nur passend erscheinenden Situation von mir gebe. So gebe ich ihn auch an alle um mich herum sitzenden Personen nach dem Mittagessen weiter. Wahrscheinlich wundern sie sich, wie eine kleine Portion Reis in mir so viel Glück und Freude hervorrufen kann. Doch daran denke ich nicht, um mir selber den Spaß an dem Spiel und die Laune nicht zu verderben.

Einer der Jungs hat mir ein Haus gemalt. Es ist zwar kein architektonisches Kunstwerk, doch es ist ihm wirklich nicht übel gelungen. Obwohl ich ihm auch wenn es anders wäre, das wohl niemals gesagt hätte. Ich stehe als neben ihm, der so zufrieden mit seinem Gemälde ist und denke angespannt über etwas nach, was ich in dieser Situation sagen könnte. Außer „bueno“ fällt mir jedoch nicht viel ein und das ist mittlerweile recht langweilig geworden. Ich strenge mich also umso mehr an und sage dann laut:

- Tu eres genio! (Du bist ein Genie!)

Herrje...Diese Umschreibung bringt mit sich, dass viel von einem erwartet wird, findet ihr nicht? Der kleine ist ein wenig überrascht, doch er bedankt sich trotzdem leise und nimmt das Lob hin. Vielleicht habe ich ja auch ein bisschen übertrieben, aber wer weiß...vielleicht bringt ihn ja gerade mein Optimismus dazu an sich zu glauben , dass wir eines Tages von ihm als weltweit wertgeschätzten Architekt hören? Das würde ich ihm von ganzem herzen wünschen.

Wie beflügelt laufe ich zu Magda.
- Tu eres dulce (Du bist süß)

Sie guckt mich ein wenig irritiert an, denn sie weiß noch nicht, was das heißt, doch sie lächelt mich an, da sie glaubt ein Kompliment von mir gehört zu haben. Sehr gut! Das nächste Mal sage ich ihr irgendwas gemeines und lächele sie mit meinem Engelslächeln an, damit sie denkt, dass sie erneut ein Kompliment aus meinen Lippen vernommen hat – ha! Es sei denn, dass sie auf die gleiche Idee kommt und sie kennt bereits mehr Ausdrücke als ich...

Doch dann sage ich:

- No pasa nada! - und una sonrisa (Lächeln) wird sich auf meinem Gesicht wiederfinden.

Hey, es ist gar nicht mal so übel mit meinem Spanisch, oder?


                                                                                                                                 Paweł

Montag, 11. Februar 2013

Ich fange den Moment



- Fühlst du das?

- Mhm, ich glaube bald gibt es Mittagessen.

- Nein, ich meine es ist so, als würde sich alles bewegen.

- Ja, mhm – meine blitzartige Antwort beendete diese Diskussion.

Im nächsten Moment stellte sich heraus, dass Magda Recht hatte. Irgendwas hatte sich bewegt. Die Erde hatte sich bewegt. Und ich merke das nicht. Ein kleines Beben in dieser Region gibt jedoch bei niemandem den Anlass zu größerer Besorgnis, es wird eher als etwas natürliches angenommen.
Trotzdem habe ich einen Moment der Befriedigung erlebt. Mein erstes Erdbeben – und zwar ohne, dass irgendjemand oder irgendetwas zu Schaden gekommen ist. Damit werde ich oft vor meinen Freunden angeben, ha!

                                                                                  ***

Die kleine Shirley habe ich inoffiziell zu meinem Liebling bestimmt. Sie hat mich für sich auf die bestmögliche Art und Weise eingenommen – durch einen guten Sprung und einen sicheren Fang. Ich bin eben nur ein Mann und es imponiert mir, wenn eine Frau, wenn auch nur ein kleines Mädchen, in der Sportwelt gut zurecht kommt. Shirley hat sich fest vorgenommen, dass sie zusammen mit mir und den älteren Jungs sich den Ball (eine softe Version eines Rugbyballs) zuwerfen möchte. Wieso eigentlich auch nicht? Schließlich werde ich hier nicht irgendein Kind favorisieren, das ist weder Sinn noch Zweck der Sache.
Der erste Wurf – der Ball fliegt geradewegs in Shirleys Arme hinein. Der ältere Junge neben ihr hatte damit weitaus größere Probleme.

Der nächste Wurf.

Erneut.

Und wieder.

Shirley springt immer wieder auf den Stuhl und fängt jeden auf sie zukommenden Ball. Wenn ich ihn mal in der Hand halte, schreit sie „Pablo, Pablo!“, ich darf ja nur ihr zuwerfen. Nachdem ich das getan habe, erhellt sich ihr Gesicht und ein ehrliches freudiges Lachen von einem Ohr des Schlingels zum anderen, bringt mich dazu vor allem in ihre Richtung zu werfen. Ihr Lächeln sollte man an alle Rechnungen anheften, die wir bekommen – es wäre leichter sie zu ertragen.

Shirley spielt weiter wie verrückt. Was, ich stehe zu dicht an ihr dran? OK, dann gehe ich eben ein Stück zurück. Doch denk daran, dass es um einiges schwieriger sein wird den Ball zu fangen.
Dachte ich.

Chapeau. Sie hat es geschafft den sportlichen Teil meines Herzens zu erobern.
Es wäre wunderbar eines Tages zu erfahren, dass sie es geschafft hat Karriere im sportlichen Bereich zu machen – das Mädchen hat wirklich Potenzial!

                                                                                     ***

Edwin ist mir vielleicht einer. Vielleicht ein wenig schüchtern anfangs, doch seit meiner Ankunft hat ihn irgendwas in meine Richtung gezogen – als hätte ich sein Vertrauen gewonnen. Das ist ein Kerl mit Niveau. Er drängt sich niemandem auf, sondern bevorzugt es von Weitem zu beobachten und erst dann aus seinem Versteck hervor zu kriechen, wenn man ihm zulächelt. Und dann kann er endlich das tun, womit unsere Freundschaft angefangen hat. Ein simples „High Five“. Natürlich mit einem Grinsen von Ohr zu Ohr, dennoch mit dieser Schüchternheit, die ich anfangs beschrieb.
Er schafft es alle paar Minuten so auf mich zu zukommen – einfach nur, um einzuschlagen. Doch das stört überhaupt nicht Er ist großartig. Er achtet auch darauf, dass wir am Ästhetischen arbeiten und versucht immer wieder auf neue Weisen einzuschlagen.



                                                  


Außerdem hilft er mir oft, wenn er sieht, dass ich müde bin und momentan keine Kraft habe weiter zu arbeiten. In diesen Momenten starrt er mich mit seinen klugen Augen an, gibt mir einen Daumen mit dem Zeichen „ey, Pablo, das ist ok!“. Wenn er das sagt, werde ich mich nicht mit ihm streiten. Er lächelt freundlich dabei und wartet so lange, bis ich ihm das gleiche Zeichen zurückgebe. Was also bleibt mir anderes übrig, als mich zu revanchieren und es ihm gleichzutun?

Nach dem, was in der Stiftung so los ist, geht jeder seines Weges. Manchmal treffen sie aufeinander. In diesem Fall erfolgt ein Austausch von „High Fives“ und Daumen-nach-oben.
Als ich bei ihm zu Hause war und wir einen kurzen Moment Zeit hatten, habe ich ihm einen Trick mit den Fingern gezeigt. Er war überirdisch beschäftigt mit dieser Aufgabe und nach einigen Versuchen hat er geschafft diese erfolgreich auszuführen. Einige Stunden später trafen wir in der Stiftung aufeinander. Was glaubt ihr hat Edwin wohl als erstes gemacht? Bravo, ihr seid kluge Leser. Ja, genau den Trick mit den Fingern. Er ist zwar ein wenig schief gegangen, doch ich habe größten Respekt ihm gegenüber, dass er es überhaupt versucht und sich noch daran erinnert hat.
Das ist schon ein cooler Typ dieser Edwin, oder?!

Paweł

Sonntag, 10. Februar 2013

Hey du, halte doch endlich mal an!




Platon sagte eins, dass der Mensch sein Leben lang mit anderen um sich herum verbringt, aber nicht in der Lage ist zu sagen, was der eine von dem anderen will. Er hatte Recht, dieses Schlitzohr. Ein Meinungsstreit mit ihm – zwecklos. Wir treiben in diesem wahnsinnigen Lauf, der uns sowohl sachlich als auch rhetorisch jegliche Form der Freude und selbst die kleinste gute Tat raubt, während er unsere ganze Zeit und unser Denkvermögen beansprucht, und ihn umwandelt in einen Kampftrieb. Doch was wäre, wenn man alles ein wenig verlangsamen würde? Wenn man sich vergessen würde und etwas machte ausschließlich für den Nächsten? Wenn man sein jetziges Leben opferte, um das utopische Leben zu realisieren, auch wenn es vorläufig nur der Hauch einer Idee ist?!




Ey, kein Problem. Im Ernst. Vermutlich kennt auch ihr oft das Sprichwort „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“ oder „Wollen ist Können“. Es scheint mir nicht unwahrscheinlich, dass das auch euch verwirrt hat, da unser Verständnis uns oft hinters Licht führt oder zu sagen versucht, dass Märchen nur für kinder geschaffen sind, nicht für gesetzte, junge, gebildete und ernste Bürger.






                                                           





Dann sage ich euch nun, oder viel eher schreibe ich euch, dass auch diese wahr sind. Und niemand hat hierbei sein Gesicht zu verziehen – auch ich bin in meinem Leben oft gerannt statt zu gehen und mich mit jedem Schritt in eine Art Rausch zu versetzen. Ich verstehe euch. Es hat sich jedoch was geändert und momentan sind meine Gedanken voll und ganz in den Gedanken vertieft, dass jedes Kind unserer Stiftung in Ventanas sein Mittagessen bekommt und von mir so viel wie möglich lernt, damit das in ihrem Leben sich wahrlich als etwas wertvolles erweist und nicht einfach nur als vergehend, nicht wiederkehrend und unbeachtet angesehen wird. Und das ist die Kunst! Es ist nicht leicht, doch was kann ich schon wissen nach meinem so kurzen Aufenthalt von einigen Tagen hier in Ecuador. Ich jedoch kann mich mit Niederlagen nur schwer abfinden – offensichtlich sind sie nicht für mich gemacht und in meinem Wortschatz nur schwer auffindbar, also muss der Kampf (hier handelt es sich als ein positiv gebrauchtes Wort) auf die oben von mir beschriebene Art und Weise aufhören.




Übrigens müsstest du das sehen. Du als Mensch. Du gehst in die Stiftung und da werfen sich dir plötzlich fünf Kinder um den Hals, die sich an deinen beiden Händen festkrallen, an deinem T-Shirt zerren und nicht aufhören fröhlich zu rufen „Pablo, Pablo!“. Und Pablo lacht dann einfach nur blöd vor sich hin, denn „no entiendo“ , doch er gibt sich Mühe dass mit einem breiten Lächeln, tätscheln der köpfe und auf den Arm nehmen, auszugleichen. In nicht allzu langer Zeit wird er ihnen mehr antworten. Wetten wir?




Das hier ist nicht das Paradies, oh nein. Es sei denn, es ginge dir um die bildschöne Natur. Übrigens, ohne ins Detail gehen zu wollen, denn es wird auch sicher noch dafür die Zeit kommen, lebt es sich hier ungewöhnlich schwierig und man hat seinen Kopf immer um seinen Nacken zu haben. Doch ist das so schlimm? Wenigstens wird man schneller Erwachsen und man fängt an das Leben mehr wertzuschätzen. Die Kinder sind die Entlohnung für alles. Klar sind die laut und besonders gut im Nicht-Zuhören, aber wenn sie dir zum fünften Mal ein nur für dich selbst gemaltes Bild in die Hand drücken, vergisst du das alles. Ich blicke also tief in ihre dunklen Augen und denke nur daran sie nicht aufzuessen, obwohl ich bis jetzt eher auf Hühnchen stand. Ich sage dir, die größten Schriftsteller der Welt singen seit Jeher Lobeshymnen zum Thema „Augen“ und jetzt verstehe ich sie auch sehr gut. In diesen Ecuadorianischen stecken so viele Emotionen drin, dass man Lust bekommt sich sofort in einen Strudel der Hilfe ihrer Besitzer zu werfen. Und danach will man sie aufessen, denn sie sind schön;)




Halte an. Atme die erfrischende Luft ein und sieh dich um. Ist es ein wenig trist? Du düst den ganzen Tag umher und immer weniger Dinge scheinen dich wirklich glücklich zu machen? Ändere das, das ist doch nicht so schwer. Du wirst es nicht bereuen, das garantiere ich dir nicht nur für einen Monat, sondern ein ein Leben lang. Das muss nicht unbedingt sofort Ecuador sein. Die ganze Welt wartet auf dich. Du musst ihr nur die Hand entgegenstrecken. Das schreibe ich, Pablo, aus größter Überzeugung heraus, auch wenn ich erst einige wenige Tage hier bin.




Paweł


Freitag, 1. Februar 2013

¡Tranquilo, no pasa nada!


Letztens waren wir zusammen mit Magda und Inés in Muisne, wo wir demnächst die dritte Niederlassungsstelle unserer Stiftung eröffnen wollen. Der dortige Pfarrer kommt aus Indonesien, arbeitet jedoch schon sein einiger Zeit in Ecuador. Vermutlich hat er deswegen die hiesige typische ecuadorianische Denkweise übernommen.

Wir haben nicht genug Brot? Dann kaufen wir eben welches.- Tranquilo, no pasa nada! (Ruhig, es passiert doch nichts!)
Jemand hat was ausgeschüttet und regt sich auf? Man wischt es einfach auf. – Tranquilo, no pasa nada!
Du bist müde aber du hast noch viel arbeit vor dir? Ruhe dich ein wenig aus. - Tranquilo, no pasa nada!



No pasa nada – ecuadorianisches Lebensmotto. Irgendwas ging heute schief? Dann machen wir das eben, wenn wenn wir das nächste Mal Zeit haben. Kein Grund sich den Kopf zu zerbrechen. Wir leben den heutigen Tag und freuen uns mit ihm. Anfangs klingt das alles sehr nett und vor allem ziemlich stressfrei. Manchmal könnten wir uns in Europa eine Scheibe der Lateinamerikaner abschneiden und nicht andersherum, wie es sonst üblich ist.

Doch manchmal kommt man auch mit dieser Einstellung nicht weit und uns stört sie immer wieder bei der Arbeit. Besonders bei unseren Verwaltungsaufgaben, wenn wir Dokumente der Kinder brauchen oder wir auf die Anwesenheit der Eltern bei Elternabenden zählen, wo kaum jemand auftaucht. 
All diese Ereignisse können jedoch nicht unser Erlebnis in Muisne übertreffen – einem kleinen Städtchen, das größtenteils auf einer Insel liegt, die rundherum breite Strände besitzt. Eine der dort lebenden Schwestern mit dem süßen Namen Fructuosa (sie wohnt und arbeitet in Ecuador seit über 40 Jahren und ist unter den Einwohnern der Insel bekannter als der Papst) hat uns auf der Insel herumgeführt und uns die ärmsten Viertel der Stadt gezeigt. Am Abend des gleichen Tages wollten wir nach dem langen Spaziergang die Füße im Pazifischen Ozean abkühlen und haben unsere Tasche am Strand stehen gelassen. Als wir zurückkamen, sahen wir, dass dort, wo unsere Schuhe standen die Tasche fehlte (in ihr unsere Handtücher und einige andere Sachen). Als wir das dem Pfarrer erzählt haben, stellte er ruhig und gelassen fest, dass man in dieser Situation auch nichts mehr machen könne. Wozu also die Aufregung?! Es war doch sowieso nichts wertvolles in der Tasche drin. Tranquilo, no pasa nada.


                                                                                                          Saludos, Mónica