Freitag, 15. März 2013

Weißt du...das hier ist alles andere als ein Märchen


Ein gewisser 5 Jahre alter Junge, dem das ecuadorianische Los schwarze Loken und genauso dunkle und große Augen zugesprochen hat; ein Kraftmensch, der seine Stärke vor allem darin zeigt, dass er mir nie erlaubt ihm beim Mittagessen zu helfen. Er bevorzugt es alleine zu tun – wenn auch sehr viel Zeit und sehr viel Reis auf seine Kleidung drauf geht. Doch er tut es, wie es sich für einen richtigen Mann gehört – alleine, ohne fremde Hilfe. Doch wie jeder andere hat auch dieser Jüngling eine Schwäche. Er ist ohne jegliche Konventionen oder Vorurteile. Doch immer wieder streckt er seine Arme in meine Richtung aus und bittet mich darum ein paar Runden um die Tische zu drehen oder einfach nur für einen Augenblick seine kleine Hand zu halten. Natürlich sage ich nicht nein – ich wurde zu einem braven und hilfsbereiten Mann großgezogen, was natürlich meiner Mutter zu verdanken ist.

Pedrito ist der zukünftige Star des Fernsehbildschirms. Den Fotoapparat rauszuholen und ein gewöhnliches Foto von ihm zu schießen, ist fast unmöglich. Immer wieder fängt er an zu posen – von Wut über Langeweile bis hin zu vollkommener Zufriedenheit oder Angst reicht sein Repertoire  Ein breit gefächertes Angebot hat er zu bieten und jedes Mal überrascht er uns mit seinem Potenzial, ich sage es euch!





Vermutlich würde ich ihn genau so für lange Zeit in Erinnerung behalten, zufrieden damit, dass ich die Möglichkeit hatte einen aufgehenden Stern am TV-himmel lange vor seiner Zeit kennen zu lernen, bevor er in ecuadorianischen Filmen mitgespielt hat. Ich würde...wäre da nicht der Besuch bei ihm zu Hause gewesen.

Wir trafen auf ihn direkt vor seinem Haus, wo er barfuß auf dem Boden neben einem riesigen Stapel leerer Plastikflaschen saß, die er mit seinen kleinen Füßchen platt machte und dann in eine Schüssel warf, wo sich bereits Unmengen an anderen Flaschen befanden. Der Effekt seiner Arbeit. Mit gelassenem Gesichtsausdruck, ohne Anflug von Emotionen oder erkennbare tiefere Gedankengänge über das, was er da tat. Mechanisch. Gemeinsam mit den anderen Familienmitgliedern. Das tut er übrigens regelmäßig vermutlich seitdem er laufen kann. Noch ist das die einzige Möglichkeit, wie er der Familie helfen kann ein wenig Geld in die Kasse der Familie zu treiben. Nicht nur für ihn, sondern auch für seine zahlreichen Geschwister. Wieso wundert es also nicht, dass danach beim Erneuern der Daten der Kinder die Eltern auf die Frage nach der Lieblingsbeschäftigung der Kinder mit „Recycling” antworten?!

Eine Stunde später sitzt er beim Mittagessen und isst seine Suppe und den Reis. Er ist immer noch schmutzig, doch entschieden sauberer als er es bei unserem Aufeinandertreffen zuvor war. Er hat sich auch umgezogen. Das bedeutet also, dass irgendjemand vor seinem Aufbruch zum Essen ihn hingewiesen hat darauf, dass er sich um sich zu kümmern hat. Oder vielleicht war es auch seine Reife, die so anders ist als die von europäischen fünfjährigen Kindern, die es ihm gesagt hat?

Das war so ein Moment, in dem selbst die Stärksten das Recht hätten für einen kurzen Augenblick zusammenzubrechen. Mir selbst hat es ebenfalls die Sprache verschlagen. Ich wusste, dass man es mir nicht anmerken durfte, weil alle diese Kinder ein breites Lächeln meinerseits brauchen und jemanden, der fröhlich mit ihnen spielt, unterstützt von einfallsreicher Erziehung und kein Mitleids-empfinden gegenüber seiner Situation.



Ich erinnere mich auch an einen anderen Moment, der mit den Atem verschlug: Ich bat den kleinen Edrien darum mir einen Laden zu malen. Er nahm mit seiner so zerbrechlichen Hand vorsichtig den Stift, umklammerte ihn fest und fertigte ein kleines Gemälde an, das aus einem Gitternetz bestand. Hier sehen viele Läden in den armen Vierteln genau so aus: Mit Gittern vor dem eigentlichen Laden, durch die die Ware gegen das Geld ausgetauscht wurden. So schützt man sich vor Räubern, vertraut wird niemandem. Nicht mal seinen eigenen Nachbarn. Der Kleine sah mir in die Augen und lächelte auf eine natürliche kindliche ehrliche Art und Weise, glücklich über sein Kunstwerk - und ich fühlte wie ich dahin geschmolzen bin und Angst hatte Eins zu werden mit dem Boden.

Drei schnelle Atemstöße haben mich aus meiner Situation gerettet, doch dieser Moment wird mir auf Ewig in Erinnerung bleiben.

Denn weißt du...das hier ist alles andere als ein Märchen.

Pablo