Ein
gewisser 5 Jahre alter Junge, dem das ecuadorianische Los schwarze
Loken und genauso dunkle und große Augen zugesprochen hat; ein
Kraftmensch, der seine Stärke vor allem darin zeigt, dass er mir nie
erlaubt ihm beim Mittagessen zu helfen. Er bevorzugt es alleine zu
tun – wenn auch sehr viel Zeit und sehr viel Reis auf seine
Kleidung drauf geht. Doch er tut es, wie es sich für einen richtigen
Mann gehört – alleine, ohne fremde Hilfe. Doch wie jeder andere
hat auch dieser Jüngling eine Schwäche. Er ist ohne jegliche
Konventionen oder Vorurteile. Doch immer wieder streckt er seine Arme
in meine Richtung aus und bittet mich darum ein paar Runden um die
Tische zu drehen oder einfach nur für einen Augenblick seine kleine
Hand zu halten. Natürlich sage ich nicht nein – ich wurde zu einem
braven und hilfsbereiten Mann großgezogen, was natürlich meiner
Mutter zu verdanken ist.
Pedrito
ist der zukünftige Star des Fernsehbildschirms. Den Fotoapparat rauszuholen und ein gewöhnliches Foto von ihm zu schießen, ist fast
unmöglich. Immer wieder fängt er an zu posen – von Wut über
Langeweile bis hin zu vollkommener Zufriedenheit oder Angst reicht
sein Repertoire Ein breit gefächertes Angebot hat er zu bieten und
jedes Mal überrascht er uns mit seinem Potenzial, ich sage es euch!
Vermutlich
würde ich ihn genau so für lange Zeit in Erinnerung behalten,
zufrieden damit, dass ich die Möglichkeit hatte einen aufgehenden
Stern am TV-himmel lange vor seiner Zeit kennen zu lernen, bevor er
in ecuadorianischen Filmen mitgespielt hat. Ich würde...wäre da
nicht der Besuch bei ihm zu Hause gewesen.
Wir
trafen auf ihn direkt vor seinem Haus, wo er barfuß auf dem Boden
neben einem riesigen Stapel leerer Plastikflaschen saß, die er mit
seinen kleinen Füßchen platt machte und dann in eine Schüssel warf,
wo sich bereits Unmengen an anderen Flaschen befanden. Der Effekt
seiner Arbeit. Mit gelassenem Gesichtsausdruck, ohne Anflug von
Emotionen oder erkennbare tiefere Gedankengänge über das, was er da
tat. Mechanisch. Gemeinsam mit den anderen Familienmitgliedern. Das
tut er übrigens regelmäßig vermutlich seitdem er laufen kann. Noch
ist das die einzige Möglichkeit, wie er der Familie helfen kann ein
wenig Geld in die Kasse der Familie zu treiben. Nicht nur für ihn,
sondern auch für seine zahlreichen Geschwister. Wieso wundert es
also nicht, dass danach beim Erneuern der Daten der Kinder die Eltern
auf die Frage nach der Lieblingsbeschäftigung der Kinder mit
„Recycling” antworten?!
Eine
Stunde später sitzt er beim Mittagessen und isst seine Suppe und den
Reis. Er ist immer noch schmutzig, doch entschieden sauberer als er
es bei unserem Aufeinandertreffen zuvor war. Er hat sich auch
umgezogen. Das bedeutet also, dass irgendjemand vor seinem Aufbruch
zum Essen ihn hingewiesen hat darauf, dass er sich um sich zu kümmern
hat. Oder vielleicht war es auch seine Reife, die so anders ist als
die von europäischen fünfjährigen Kindern, die es ihm gesagt hat?
Das
war so ein Moment, in dem selbst die Stärksten das Recht hätten für
einen kurzen Augenblick zusammenzubrechen. Mir selbst hat es
ebenfalls die Sprache verschlagen. Ich wusste, dass man es mir nicht
anmerken durfte, weil alle diese Kinder ein breites Lächeln
meinerseits brauchen und jemanden, der fröhlich mit ihnen spielt,
unterstützt von einfallsreicher Erziehung und kein Mitleids-empfinden gegenüber seiner Situation.
Ich
erinnere mich auch an einen anderen Moment, der mit den Atem
verschlug: Ich bat den kleinen Edrien darum mir einen Laden zu malen.
Er nahm mit seiner so zerbrechlichen Hand vorsichtig den Stift,
umklammerte ihn fest und fertigte ein kleines Gemälde an, das aus
einem Gitternetz bestand. Hier sehen viele Läden in den armen
Vierteln genau so aus: Mit Gittern vor dem eigentlichen Laden, durch
die die Ware gegen das Geld ausgetauscht wurden. So schützt man sich
vor Räubern, vertraut wird niemandem. Nicht mal seinen eigenen
Nachbarn. Der Kleine sah mir in die Augen und lächelte auf eine
natürliche kindliche ehrliche Art und Weise, glücklich über sein
Kunstwerk - und ich fühlte wie ich dahin geschmolzen bin und Angst
hatte Eins zu werden mit dem Boden.
Drei
schnelle Atemstöße haben mich aus meiner Situation gerettet, doch
dieser Moment wird mir auf Ewig in Erinnerung bleiben.
Denn
weißt du...das hier ist alles andere als ein Märchen.
Pablo